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Standard Vanguard Estate: Bester Standard aus der Schweiz

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Der englische Standard Vanguard war in den 50er-Jahren die gelungene Mischung aus amerikanischem Komfort und schweizerischer Dimension. 528 Exemplare wurden 1950–1952 hierzulande von der AMAG gebaut.

Schon vor, aber erst recht nach dem Zweiten Weltkrieg erhob die Schweiz hohe Schutzzölle für fertig montierte Luxusgüter ohne inländische Wertschöpfung. Für Teile und Halbfertigprodukte wurden weniger Steuern berechnet oder sogar Subventionen bezahlt, um Arbeitsplätze zu schützen. Das betraf zugleich den Import von Autos aus den USA und England. Die «Montage Suisse» – nicht nur bei General Motors in Biel – bot die Möglichkeit, Kapazitäten auszulasten und Zollgebühren zu sparen. Zudem konnten bei der Inlandmontage Ausstattung, Qualität, Rostschutz und Motorisierung den Schweizer Ansprüchen angepasst werden. Manche Teile wurden sogar in der Schweiz hergestellt. «Montage Suisse» wurde zum Qualitätsprädikat und ist heute eine gesuchte Rarität. So baute die neue AMAG zwischen 1947 und 1972 in einer alten Zementfabrik in Schinznach 29 227 Autos der Marken Chrysler, Plymouth, DeSoto, Dodge oder Studebaker und einige VW Karmann Typ 14 Coupés. Anfangs der 50er-Jahre war die Liefertreue der Amerikaner allerdings mässig, die Montageanlagen waren nicht ausgelastet. Die AMAG importierte damals aber auch die britische Marke Standard, die wegen hoher Nachfrage am Limit produzierte. So entstanden von 1950 bis 1952 noch 528 Exemplare des Vanguard Phase I in der Schweiz. Diese von 1948 bis 1956 angebotene Neukonstruktion war ein dermassen erfolgreicher Wurf für den Traditionshersteller aus Coventry, dass man alle anderen Modelle einstellte und nur noch den Vanguard in drei Versionen baute. Es gab ihn als viertürige Limousine mit rundem Fliessheck, welche ab 1953 durch ein Stufenheck abgelöst wurde: die sogenannte Phase II mit ein paar technischen und optischen Änderungen.

Dazu war er als zweitüriger Lieferwagen und viertüriger Kombi mit hinteren Flügeltüren zu kaufen. Für den Importeur AMAG war der Vanguard wie massgeschneidert. Die Dimensionen und Hubräume der amerikanischen Modelle waren nämlich in den goldenen 50er-Jahren explosionsartig angewachsen. Die Schweizer Strassen und eine Gesetzgebung, die den Steuer-Obolus anhand des Zylinderinhalts berechnete, verlangten nach bescheidenen Abmessungen und Motoren. Dazu passte der Standard mit seinem gediegenen, nicht übertrieben luxuriös wirkenden Design. Im hoch gebauten Estate sitzt man vor einem riesigen Lenkrad und staunt über das hochwertige Ambiente mit rotem Kunstleder und Flauschteppich. Man thront über dem Chassis mit vorn einzelnaufgehängten Rädern und hinten blattgefederter Starrachse. Vier Personen können sehr komfortabel sitzen und freuen sich über viel Kopf- und Beinfreiheit. Für die zugelassenen sechs Passagiere wird es dann aber doch eng. Auch der grosse Laderaum über Ersatzrad und Tank ist mit rotem Teppich ausgekleidet. Der Zweiliter-Vierzylinder ist britisch kultiviert, recht gut gedämmt und beschleunigt die 1,2 Tonnen in etwas mehr als 20 Sekunden auf 100 km/h. Der zweite Gang ist sehr lang ausgelegt. Wenn man nach dem Anfahren zu früh hochschaltet, verhungert der Standard am Berg und fordert wieder Gang 1. Der dritte Gang ist für die Landstrasse gedacht. Man erreicht bis zu 130 km/h. Angesichts der kathedralenartigen Karosserie und 69 PS ein respektabler Wert. Dem heutigen Verkehr sind die Trommelbremsen noch gut gewachsen, wenn man vorausschauend fährt. Allerdings droht der Motor beim Stop-and-Go zu überhitzen. Der Vanguard liebt längere Strecken. Die Limousine ist in der Preisliste von 1952 mit 10 350 Franken kalkuliert. Das ist relativ günstig, der einfachste VW Käfer kostete dazumal knapp 6000 Franken – und war weit mehr «Standard». Als die Schutzzölle wegfielen, wurde die Inlandmontage schnell unrentabel, und die Schinznacher verlegten sich ganz auf VW, Audi, NSU und Porsche. Amerikaner und Engländer verschwanden aus dem Portfolio – und der gediegene Engländer aus dem Schweizer Gedächtnis.

Text: Stefan Fritschi/Fotos: Richard Meinert, aus auto-illustrierte KLASSIK 03/2012

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